Weihnachtsmännliches

Sie werden täglich immer mehr. Obwohl der 6. Dezember als sein Tag längst wieder vorbeirauschte. Sein Tag, des Hl. Nikolaus Tag, des Weihnachtsmannes Vorgänger. Die vielen Männer und Frauen unter ihren roten Mänteln sind die inflationären Stars der Einkaufsstraße, der Schaufenster, der TV-Werbung und psychisch labile Gemüter fühlen sich verfolgt von ihnen. Oder - auch das gibt es in mindestens zwei deutschen Psychiatrien - wähnen sich selbst als den echten: Den Weihnachtsmann. Regen wir uns nicht auf, sondern nähern wir uns dieser heutigen Kultfigur einmal diagnostisch an. Der Weihnachtsmann ist nicht einfach umstrittener Nachfolger jenes Bischofs Nikolaus von Myra im 4. Jahrhundert. Der Weihnachtsmann muss auch herhalten als Nachfolger von einem Abt Nikolaus von Sion, Bischof von Pinara im 6. Jahrhundert. Insofern ist die Geschichte ähnlich gespalten wie der Psychiatrie-Patient, der sich für den Weihnachtsmann hält. Egal, wem er folgte, unser hiesiger-heutiger Weihnachtsmann: Er wurde zunächst ganz richtig mit Mitra und Stab abgebildet. In katholischen Gegenden bis heute. Gegen die haben wir Protestanten dann protestiert (in manchen Dingen: leider, leider). Die Bischofsmütze wurde hierzulande eine Zipfelmütze und die bei einem Heiligen meist asketischen Gesichtszüge wurden großväterlich, wurden fernsehgerecht gemütlich oder naiv-gütig mit einer Prise Einfalt. Unsere Weihnachtsmänner werden von einem Franz-Josef-Rauschebart garniert, welcher zu Zeiten der beiden echten Nikoläuse ein Paradies für Ungeziefer und Bakterien gewesen wäre. Außerdem viel zu heiß für Bischöfe in Kleinasien. Der Santa Claus in angelsächsischen Ländern und der Sinter Claas in den Niederlanden übernahmen unsere Weihnachtsgroßmännchen. Und doch hat diese Flut von Klischee-Verdummung einen Hintergrund, weswegen ich auch die blödesten Exemplare des Weihnachtsmannes respektiere: In der neuen Welt, im Schmelztiegel der USA, trafen sich nicht nur alle Rassen von Menschen, sondern auch fast alle Religionen. Für alle zusammen gab es keine Kultfigur, bei der es sich treffen ließe, gemeinsam feiern, neue gemeinsame Rituale finden. Das Christkind war eben so wenig für alle geeignet wie die Mutter Maria oder Buddha oder einer der Indio-Götter oder der Eskimo-Ikonen. Aber der Weihnachtsmann! Er ist Kultfigur geworden für alle. Weswegen ich meinen (inneren) Hut vor jedem seiner Exemplare ziehe. Auch wenn diese Weihnachtsmänner von heute keine Ahnung haben von ihrer rassenübergreifenden Funktion. Weiter frohe Weihnachtsmann-Zeit.

16. Dezember 2003